Story: S-E-T-H

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Daniel Jackson
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Story: S-E-T-H

Beitragvon Daniel Jackson » Mo 16 Mai, 2005 12:09

Hier ist sie, die teuflische Seth-Story. Extra für Karnak, die Comedy-Geschichten nicht so gut findet, bleibt es mal wieder etwas sachlicher, allerdings sollte die Spannung nicht darunter gelitten haben. Hoffe ich jedenfalls...
Copyright auf Text, Textausschnitte und Fotos wie immer bei mir. Viel Spaß beim Lesen!





S-E-T-H

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„Er ist der Schatten vor der Sonne,
der Auslöser aller Seuchen,
sein Zorn frißt das ganze Land
und sein Hunger wird unersättlich sein.“

Tomb Raider: The Last Revelation

Seth ist böse.
Eine Aussage, die bei den meisten Menschen wohl kaum auf Widerspruch treffen wird. Was hat man nicht schon alles über Seth gehört...
Zu seinen vielen Titel zählen zum Beispiel „Gott des Bösen“, „Herr der Fremdländer“, er ist der Gott der lebensfeindlichen Wüste und verantwortlich für Aufruhr und Unordnung. Einigen von uns wird er noch aus dem Osirismythos als der Mörder des Totengottes Osiris in Erinnerung sein, der dem kleinen Horus die Augen ausgerissen und versucht hat, ihn zu vergewaltigen.
So ist es auch kein Wunder, dass man Seth nicht in seinem Grab haben wollte, schließlich sollte das Grab ja den Übergang ins Totenreich des Osiris ermöglichen. Da wäre es ganz schön unklug, sein Grab mit dem Erzfeind des großen Osiris zu schmücken. Dieser wäre darüber sicher nicht sehr erfreut.
Warum erzählt Daniel Jackson Euch das?
Kommt mit auf eine Reise ins Tal der Könige in die Zeit Sethos II...

Ganz am Ende des Tals, direkt unter den Klippen wird ein Grab in den Fels gehauen. Später sollte es unter der Bezeichnung KV15 bekannt sein, aber im Moment sind eine Menge Steinmetze damit beschäftigt, den Stollen in den Fels zu treiben, den anfallenden Schutt aus dem Grab zu tragen und den Künstlern bei ihrer Arbeit zuzusehen. Die arbeiten auf Hochtouren, glätten und verputzen die Wände, meißeln Reliefs hinein und bemalen sie farbig. Auch die Decke wird verziert, man bildet die Kartusche Sethos II dutzendfach ab, schließlich muss ja jeder erkennen können, dass es sich um das Grab Sethos II handelt.
Plötzlich ertönt ein Signal, alle Arbeit ruht. Ein Priester, in Begleitung eines Schreibers, inspiziert die Baustelle. Die Blicke schweifen über die herrlich verzierten Wände, man bewundert die kräftigen Farben und die feinen Reliefs. An der Decke das Gleiche, der Priester ist beeindruckt und murmelt Worte der Anerkennung. Plötzlich stockt ihm der Atem, er starrt entsetzt an die Decke, genauer gesagt auf eine der großen Kartuschen, die so eindrucksvoll den Namen Setoys abbilden. Ein unverzeihlicher Fehler, zum Glück noch rechtzeitig entdeckt.
Hier, im Grab des Pharaos, in der Einrichtung, die ihm den Übergang ins Reich des Osiris erleichtern sollte, war ER zu sehen. Der Herr der Fremdländer, Herr der Wüste, Gott des Bösen und des Chaos, Erzfeind des Osiris, Setesch, Seti, Seth, wunderbar eingepasst in die Namenskartusche des Pharao.
Offensichtlich hatte niemand daran gedacht, dass die normale Königskartusche mit dem Seth-Tier, den zwei Schilfblättern und Anhang in einem Grab so nicht möglich war.
Was war zu tun? Das Seth-Tier musste weg. Man hätte die Kartusche neu machen können, es gab dabei aber ein Problem: Es war nicht nur die eine Kartusche, die gesamte Decke des ersten Korridors war durch wunderbar verSETHete Kartuschen geschmückt. Also schnell den Kopf des Seth-Tieres übermalt und durch einen Osiriskopf ersetzt. Trotzdem konnte sich ja jeder denken, wessen Grab da vor ihm lag...

Ob Sethos II später Probleme mit Osiris bekommen hat, ist leider nicht überliefert, genau so wenig ist klar, wie sich die verSETHete Kartusche eingeschlichen hat und wer der Entdecker des Irrtums war. Eine Möglichkeit ist oben aufgezeigt, ob es so oder so ähnlich abgelaufen ist, wissen wir nicht. Was wir aber kennen, ist das Ergebnis der Aktion, es strahlt uns noch heute von der Decke des ersten Korridors entgegen.
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Schön zu erkennen ist links der für den Körper viel zu kleine Osiriskopf, dessen Farbe auch noch einen leichten Unterschied zum Rest der Kartusche aufweist. Und bei genauem Hinsehen blinzelt auch noch der alte Kopf des Seth hinunter, der sich deutlich in Form eines dunklen Schattens hinter dem Osiriskopf befindet.

Unser „Wissen“ ist also bestätigt, Seth ist so was von böse, man glaubt es kaum. Das wussten auch schon die frühen Christen, die in Seth den Teufel sahen. Seth und Satan, das kann doch kein großer Unterschied sein...
Also ran an die Buletten, wir hacken dem Seth die Rübe weg.
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Wie z.B. hier, im großen Amuntempel von Karnak.
Im großen Amuntempel von Karnak? Was macht denn Seth im Amuntempel? Er ist doch böse, wir kennen ihn nur aus dem Horustempel von Edfu, wo es ihm als kleinem Nilpferd ziemlich an den Kragen geht.
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Aber in Karnak ist er eindeutig kein Nilpferd, welches fröhlich harpuniert wird. Er steht da, in voller Größe. Lassen sich da etwa erste Risse in unserem SETHbild erkennen?
Wenn ja, dann werden sie jetzt kräftig vergrößert, denn Seth steht nicht einfach nur da, er bildet die direkte Begleitung vom Amun.
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Warum sollte sich Amun vom superbösen, unglaublich gewalttätigen, ägyptenbedrohenden Megamonster Seth begleiten lassen?
Weil er vielleicht nicht nur böse ist?
Eine gewagte These, die überprüft werden muss...

Fangen wir da an, wo wir schon mal waren. Das Abbild des Gottes befindet sich in der Kartusche von Sethos, hier die Kartusche von Sethos I...
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In Grab war sie also so nicht erlaubt, aber für’s normale Leben scheint es durchaus ok gewesen zu sein.
Ein erster Hinweis, dass unsere Vermutung in die richtige Richtung geht, doch es lassen sich noch schlagkräftigere Beweise finden.
Im Open Air Museum in Karnak befindet sich ein Block, der Reste eines ganz besonderen Reliefs aufweist...
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Zu sehen ist Hatschepsut, die vom Gott Seth das Ankh und den Heka-Stab gereicht bekommt, die Symbole für Leben und Macht. Da zu vermuten ist, dass dieser Block nicht immer versteckt im Open Air Museum rumlag, sondern mal, gut zu sehen, Teil eines größeren Reliefs war, liegt doch die Vermutung nahe, dass man sich durchaus mit Seth zeigen konnte.
Unser SETHbild ist also zerstört, oder doch nicht?
Hatschepsut war ja auch ne olle Tante, man hat ja schon nicht ohne Grund ihr Andenken später auszulöschen versucht. Kein Wunder also, dass die im Pakt mit dem Teufel stand.
Könnte man meinen, oder?
Es spricht jedoch etwas Gewaltiges dagegen, der Tempel von Abu Simbel...
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Offenbar ließ sich nicht nur Hatschepsut gern mit Seth blicken. Wir können noch heute beobachten, wie sich Ramses II, seines Namens „der Große“, von Horus und Seth krönen lässt. So übel kann der Bursche also nicht gewesen sein...

Damit wären wir mit unserer Spurensuche doch schon recht weit gekommen, weit genug um sagen zu können, dass Seth eine ganz-normal dualistische ägyptische Gottheit ist. Nicht nur gut, nicht nur böse, eben etwas von beidem, damit das Leben spannend bleibt.
So lässt sich zum Schluss noch der versöhnliche Bogen zum Grab des Inherka in Deir el Medina schlagen, wo Seth in Form der Sonnenkatze von Heliopolis die böse Apophis-Schlange bekämpft.
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Habe ich gerade „böse“ Apophis-Schlange gesagt? Aber man darf doch nicht...
In diesem Fall darf man, Apophis ist einfach nur böse, verursacht Chaos und versucht jede Nacht, die Sonnenbarke des Ra zu entern und diesen zu töten. Wie gut, dass Seth da ist. Es ist nämlich seine Göttlichkeit, die Apophis jede Nacht aufs Neue tötet und so die Sicherheit der Sonnebarke gewährleistet.
Damit für uns auch morgen wieder die Sonne aufgeht...

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Beitragvon Thomas S » Mo 16 Mai, 2005 12:43

danke daniel,
mal wieder eine story ganz nach meinem geschmack ;)

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Beitragvon Isis » Mo 16 Mai, 2005 13:43

salam DJ

es ist mal wieder eine freude gewesen deinen bericht zu lesen :)

aber heute habe ich mal zwei anmerkungen.

DJ hat geschrieben:Einigen von uns wird er noch aus dem Osirismythos als der Mörder des Totengottes Osiris in Erinnerung sein, der dem kleinen Horus die Augen ausgerissen und versucht hat, ihn zu vergewaltigen.


da kann ich nur sagen ... immer diese bösen verwandten die "meine" fam. belästigen. da hat man als göttin echt viel zu tun um die männer der familie wieder zusammen zu setzen. :)

und nun aber wieder etwas ernstes.

DJ hat geschrieben:So lässt sich zum Schluss noch der versöhnliche Bogen zum Grab des Inherka in Deir el Medina


ich habe eben beim lesen des grabinhabers mit deiner "titulierung" nix anfangen können da ich ihn als "Inherkhau" kenne. das ist ja aber immer das übel mit den übersetzungen. :(
Inherkhau (In-her-chaui) ist auch noch als Onuris-cha bekannt auf jedenfall stimmt eins immer überrein das ist das grab TT 359

ach ja vielleicht noch ein wenig hintergrund info zu dem sehr schönen grab. TT 359

Grab des Inherkhau (In-her-chaui) oder auch als Onuris-cha TT 359 bekannt
Er war "Vorarbeiter" in Deir el-Medina und lebte unter den Pharaonen Ramses III. und Ramses IV. in der 20. Dyn. Sein Vater war auch schon Vorarbeiter unter Ramses II. In seinem Grab sind auch seine Söhne "Hor-min" und "Kenna" erwähnt. Inherkhau lies sein Grab reichhaltig mit Szenen aus dem Totenbuch und dem Pfortenbuch dekorieren.

weitere bilder aus dem grab findet ihr hier

http://www.isis-und-osiris.de/isisosiri ... 1.jpg.html

ma salama

...isis...

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Beitragvon Daniel Jackson » Mo 16 Mai, 2005 14:07

Inherkau kenne ich auch, am Eingang steht meiner Erinnerung nach Inherka. Wie dem auch sei, es handelt sich dabei, wie Du schon gesagt hast, um die typischen Übersetzungsunterschiede.
Roy und Schuroy werden sicher auch anders heißen. :wink:
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