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Pforzheimer finden Wege durch die Wüste

Verfasst: So 09 Mai, 2004 12:04
von Osiris
Pforzheimer finden Wege durch die Wüste

PFORZHEIM/ENZKREIS.Der alternative Nobelpreisträger ist kein Mann lauter Worte. Ibrahim Abouleish spricht im PZ-Forum leise und ohne dramatische Schilderungen über seine "Sekem-Vision", mit der er aus einer kleinen Farm in der ägyptischen Wüste am Nildelta eine weltweit aktive Unternehmensgruppe gemacht hat. Heute kauft Sekem Erzeugnisse von 800 Farmen in Ägypten und zum Teil im Sudan und in Uganda auf, verarbeitet und vertreibt sie. Und das alles auf Grundlage einer ökologischen Landwirtschaft und der Idee einer Menschenbildung nach anthroposophischen Grundsätzen.

Die Frage, die wohl den meisten der 200 Forumsgäste während Abouleishs Vortrag auf der Zunge liegt, stellt der Redner listig gleich selbst. "Wie kann Sekem wirtschaftlich bestehen?" Ein Teil der Antwort sitzt dabei im Zuhörerraum. "Nach fünf Jahren in der Wüste allein fanden mich Freunde aus Pforzheim", erinnert sich Abouleish schmunzelnd. Pforzheimer seien anscheinend begabt darin, versteckte Wege durch die Wüste zu finden.

Wurzeln in die Region

Gemünzt ist das etwa auf den Nieferner Hans Werner, der mit seiner Frau Elfriede 1981 Abouleish kennen lernte. Zwei Jahre später gründete das Ehepaar den "Verein zur Förderung kultureller Entwicklung in Ägypten". Heute existieren solche Fördervereine unter einer Kairoer Dachorganisation auch in Holland und der Schweiz. Allein der Niefern-Öschelbronner Verein brachte in 20 Jahren rund fünf Millionen Euro für Sekem auf.

Helfer in Zukunftsrat tätig

Auch europäische Helfer vor Ort fand Sekem auf diesem Weg. Auf sie baut Ibrahim Abouleish bis heute besonders als Lehrer und Ausbilder. Viele seien für Sekem in einem Zukunftsrat tätig. Ohne solch großes persönliches Engagement, sagt er, hätte er sein Konzept aus Unternehmen, Bildung und künstlerischer Förderung - "man kann keine Kultur aufbauen in Armut", so Abouleish - nicht verwirklichen können. Sekem ist für den Mann, der in Europa studiert und lange gelebt hat, auch ein Modell des Zusammenlebens der Kulturen.

Eines unter komplizierten Rahmenbedingungen. Daran erinnert gleich der erste Fragesteller. Wie das Verhältnis der Anthroposophen von Sekem zur islamischen Geistlichkeit in Ägypten sei? "Jetzt sehr gut, nachdem wir uns verständigt haben", antwortet der promovierte Pharmakologe. Nach seiner Auffassung ist der Koran erst spät mit politisch geprägten Verboten und Geboten vermengt worden. Sekem würde sich mit dem Koran völlig neu auseinandersetzen. Die Reaktion der etablierten Wissenschaft? "Zuerst war da großes Schweigen", so Abouleish, "aber das Schweigen ist kein Angriff - und da sind wir sehr froh." Dass das politische Umfeld nach wie vor kompliziert ist, zeigt die Frage einer weiteren Besucherin. Ob er auch mit Anthroposophen aus Israel zusammen arbeite?

Er würde seine "israelischen Freunde" derzeit lieber bei Auslandsreisen treffen als in Ägypten, antwortet Abouleish: "Der politische Hass dort ist noch immer sehr stark."

Kampf gegen Pestizide

Die meisten Fragesteller interessieren sich für Sekems wirtschaftlichen Erfolg. Besucher hinterfragen Sekems Vorstoß, Baumwolle in Ägypten, wo zuvor Pestizide mit dem Flugzeug übers Land gesprengt wurden, nur mit Hilfe von Kompost, genauen Untersuchungen von Mikroorganismen und pflanzlichen Schutzmitteln anzubauen. Andere wollen Näheres über die Organisation der Aktiengesellschaften wissen. Oder über die technischen Standards, die besonders bei der Produktion von Heilmitteln hoch sind.

In einem Film über die Entwicklung von einer Wüstenfläche in buchstäblich blühende Landschaften ist trotzdem viel Handarbeit zu sehen. Auch das gehört zum Modell Sekem, das heute von Universitäten wie Harvard, Stanford oder Oxford untersucht wird und im Dezember mit dem alternativen Nobelpreis geadelt wurde: "Wir verändern unsere modernen Maschinen bewusst so, dass nicht alles ganz automatisch abläuft", sagt der Sekem-Gründer. Alexander Heilemann

(Pforzheimer Zeitung 08.05.2004)