Fünf Jahrtausende in 10 Tagen

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Karnak
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Fünf Jahrtausende in 10 Tagen

Beitragvon Karnak » So 11 Jul, 2004 20:23

Fünf Jahrtausende in zehn Tagen

Pyramiden, Pharaonen, Beduinen, Bakschisch - Freuden und Tücken einer Pauschalreise durch ganz Ägypten, von Kairo über Assuan bis auf den Sinai
von Sönke Krüger

Was ist zu halten von einem Kind, das mit fünf Jahren in der Sandkiste Pyramiden statt Kuchen baut? Das mit sieben Jahren Teddybären und Geschwister zu Mumien wickelt? Dessen Lieblingsbuch, als Elfjähriger, Agatha Christies "Der Tod auf dem Nil" ist? Dieses Kind war ich, und es war verliebt. In Ägypten.


Leider teilten meine Eltern meine Leidenschaft nicht. In den Ferien ging es nach Bad Pyrmont und nicht zu den Pyramiden, statt nach Kairo fuhren wir nach Kärnten. Im ersten Urlaub ohne Familie reichte das Geld nur für zwei Wochen Kreta, danach kam immer irgendwas dazwischen: erst das Studium, dann die Arbeit, schließlich die Serie von Anschlägen islamistischer Terroristen auf europäische Touristen. Ägypten blieb ein Traum.


Bis vor kurzem. Denn gerade war ich dort, in dem Land meiner Kinderträume. Mit dem Erfinder der Pauschalreise, Thomas Cook. Der hatte bereits 1869 die erste Gruppenreise nach Ägypten veranstaltet und in den Folgejahren abertausende Europäer und Amerikaner durch das Land der Pharaonen gelotst. Offenbar mit Erfolg: Anders ist nicht zu erklären, dass Ende des 19. Jahrhunderts die gesamte Dampferflotte auf dem Nil zum Cookschen Imperium gehörte, was dem längsten Fluss der Welt den Beinamen "Cook's Canal" eintrug. Sogar gekrönte Häupter buchten ihr Ägypten-Abenteuer beim Pauschal-Pionier: der deutsche Kaiser und der russische Zar, der Schah von Persien und der Prinz von Wales.


Bei derlei Referenzen lag es nahe, gleich eine Premiumrundreise zu buchen, und zwar "Niltal und Sinai - antike Weltwunder und Beduinen". Die versprach so viel Ägypten wie möglich in so kurzer Zeit wie nötig: Kairo und Giseh, Assuan und Luxor, Sharm Al Sheik und das Rote Meer in anderthalb Wochen. Oder anders gezählt: drei Fünfsternehotels, drei Tage Nilkreuzfahrt, drei Inlandsflüge und so ziemlich alle Sehenswürdigkeiten des Landes.


Erste Etappe:

Kairo und die Pyramiden


Könige und Kaiser sind nicht an Bord des Egyptair-Fluges von Frankfurt nach Kairo, dafür aber 13 Teilnehmer der Premiumrundreise. Die Zahl und die dazugehörigen Namen wurden jedem Einzelnen im Vorfeld zugeschickt. Und so sieht man immer wieder neugierige Blicke durch das Flugzeug schweifen, jeder fragt sich: Welches Gesicht gehört zu welchem Namen? Mit wem muss ich die nächsten Urlaubstage verbringen?


Die Auflösung erfolgt direkt nach der Landung in Kairo, das sich bereits in Dunkelheit gehüllt hat. Alle 13 scharen sich um einen jungen Mann mit Thomas-Cook-Schild. Erleichterung macht sich breit: Die Reise wird kein Seniorenausflug. Es ist nur ein Paar um die sechzig in der Gruppe, der Rest ist zwischen Ende zwanzig und Anfang vierzig. Ein Kind ist auch dabei, das während des ganzen Fluges seelenruhig geschlafen hat.


Am nächsten Morgen ist besagtes Kind, ein Knirps von zweieinhalb Jahren, hellwach. Und begeistert von der ersten Station, dem Ägyptischen Museum. Die Klunker und Figuren in den Glasvitrinen gefallen ihm, ebenso die Maschinengewehre der Wärter und die langen Gänge zwischen Sarkophagen und Obelisken, durch die sein Aufziehauto mit Höchstgeschwindigkeit rauscht. Ein ähnliches Tempo legen auch wir Premiumpauschalisten an den Tag: Kaum zwei Stunden haben wir für die etwa 100 Säle mit über 100 000 Exponaten aus fünf Jahrtausenden.


Salah, unser Guide, lotst uns an italienischen, russischen und japanischen Reisegruppen vorbei ins erste Geschoss in Raum 53, wo allerlei Tiermumien ausgestellt sind, und danach zu Raum 56, wo 13 mumifizierte Pharaonen in Glassärgen ruhen, darunter Amenophis I. und Ramses II. Wir haben zehn Minuten. Von dort eilen wir zu Saal 3, wo die weltbekannte Totenmaske von Tutanchamun steht: elf Kilogramm pures Gold in einem simplen Glaskasten, gesichert mit ein paar Vorhängeschlössern.


Was für ein Anblick! Mit seinen dunklen Kulleraugen scheint der Pharao unsere Gruppe zu mustern - und die Putzfrau, die gerade seine Vitrine abstaubt. Hinter uns drängen die Russen, sodass wir weiterziehen zu den zahllosen Grabbeigaben Tutanchamuns, die in den angrenzenden Räumen hinter Glas stehen, darunter ein Streitwagen, ein Doppelbett und ein riesiger Thron, alles aus purem Gold.


Salah drängt zum Aufbruch. Schließlich steht das Koptische Viertel auf dem Programm. Auf dem Weg dorthin beweist unser Busfahrer, dass man in Kairo problemlos vierspurig auf einer zweispurigen Straße fahren kann. Bei 40 Grad im Schatten geht es dann zu Fuß durch die engen Gassen des alten Christenquartiers, zur Kirche der Heiligen Jungfrau (4. Jahrhundert), zu St. Sergius (5. Jahrhundert) und zur ältesten Synagoge von Kairo (8. Jahrhundert), vorbei an St. Barbara und St. Georg, für die leider keine Zeit bleibt. Denn Salah hat eine Überraschung parat: Auf dem Weg zu Zitadelle und Alabaster-Moschee kommen wir zufällig an einer Papyrusfabrik vorbei, "alles sehr interessant, alles günstig und Handarbeit". Keiner kauft etwas, obwohl wir eine halbe Stunde bleiben. Wenigstens ist der Laden klimatisiert.


Am nächsten Morgen haken wir die Gotteshäuser Ibn Tulun (Kairos älteste Moschee) und Sultan Hassan (Unesco-Weltkulturerbe) ab. Die Rifai-Moschee mit den Gräbern des letzten ägyptischen Königs und des letzten Schahs von Persien sehen wir nur von außen. Keine Zeit. Schließlich warten die Pyramiden. Ungefähr 200 wurden in Ägypten gebaut, sagt Salah, 91 davon sind heute zugänglich, eine Hand voll davon werden wir sehen. Zuerst die Stufenpyramide von Sakkara. Für meinen Geschmack ein bisschen mickrig, was daran liegen mag, dass sie die erste war - 2665 v. Chr. hatte man den Bogen noch nicht richtig raus. Ebenso beim Grabmal für Pharao Snofru, das als Knickpyramide Architekturgeschichte schrieb: Besagter Knick ging nämlich auf einen Konstruktionsfehler zurück.


Dagegen verkörpern die Pyramiden von Giseh Glanz und Gloria des Altertums. Noch immer sind sie geheimnisumwittert, die Gelehrten streiten sich bis heute, wie und warum sie - das einzig erhaltene der antiken sieben Weltwunder - entstanden sind. Lustig ist die These einiger Ufo-Forscher, wonach die Pyramiden Landemarkierungen für außerirdische Raumschiffe sein sollen und der Sphinx das Produkt gentechnischer Experimente.


Heute könnte man Pyramiden und Sphinx eher als Landemarken für Touristen bezeichnen, von denen täglich Tausende in, auf und um die grandiosen Steinberge spazieren, für Fotos posieren und mit den allgegenwärtigen Kameltreibern und Souvenirhändlern um den Preis feilschen. Das nimmt dem Ort leider einiges von seinem mystischen Reiz, und ich muss erkennen, dass scheinbar noch mehr Menschen auf der Welt denselben Kindheitstraum hatten wie ich.

Fortsetzung unter folgendem Link:
http://www.wams.de/data/2004/07/11/302443.html

Quelle: Welt am Sonntag online